Aktivitätsaufbau (Weiss-Zamani)

Mag. Julia Weiss-Zamani

julia.weisszamani@gmail.com

Wozu dient Aktivitätsaufbau?

Die verhaltenstherapeutische Technik des Aktivitätsaufbaus zielt darauf ab, das Aktivitätsniveau der Patienten zu erhöhen. Vor allem geht es darum, vermehrt positiv erlebte Aktivitäten auszuführen und in der Folge auch angenehme Gefühle und eine verbesserte Stimmung zu erzielen. Daher ist diese Technik vor allem in der Therapie depressiver Patienten ein wichtiger Teil des therapeutischen Gesamtkonzeptes.

Theoretischer Ausgangspunkt ist die lerntheoretische Annahme des Verstärkerverlustes. Man geht davon aus dass depressive Personen aufgrund ihrer Symptomatik (Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug etc.), einen Verlust positiv erlebter Umweltverstärkung (Erfolgserlebnisse, soziale Kontakte) erleiden, was zu einer weiteren Stimmungsverschlechterung führt.

Durch die Technik des Aktivitätsaufbaus wird daran gearbeitet, den Patienten zu einer geregelten Tagesstruktur in einem gesunden Ausmaß zu verhelfen, das heißt weder zu viele noch zu wenige Aktivitäten auszuüben und eine Balance, zwischen angenehm erlebten Aktivitäten und Pflichten, zu finden.

Indikationen und Kontraindikationen

Aktivitätsaufbau ist vor allem dann indiziert, wenn die Person ein geringes Aktivitätsniveau aufweist und bestimmte Tätigkeiten gänzlich vermeidet. Gerade Personen mit depressiver Symptomatik neigen dazu, antriebslos zu sein und viel zu grübeln, anstatt aktiv zu werden. Auch beim chronischen Erschöpfungssyndrom, aber auch bei psychotischen Residuen, somatoformen Störungen, chronischen Schmerzen, Panikstörungen und Adipositas kann ein geringes Aktivitätsniveau einen großen Teil der Symptomatik sowie der aufrechterhaltenden Bedingungen ausmachen.

Wichtig ist, dass darauf geachtet wird, dass die Person in der Lage ist, Aktivitäten gezielt zu planen (beispielsweise nicht akut psychotisch oder dement ist), die vorgenommenen Zielsetzungen realistisch umsetzbar sind und sich die Person nicht überfordert fühlt, denn ein Misserfolgserlebnis wäre kontraproduktiv. Weiters sollen natürlich keine Aktivitäten ausgeübt werden, die aus anderen – beispielsweise aus medizinischen Gründen – kontraindiziert sind oder gar zu einer Aufrechterhaltung der Symptomatik beitragen würden (z.B. exzessiver Sport bei Anorexia nervosa).

Praktische Durchführung des Aktivitätsaufbaus

Die Technik des Aktivitätsaufbaus ist meist Teil eines umfassenden Behandlungskonzeptes und wird in der Therapie möglichst früh begonnen. Bevor sie mit der Planung der Aktivitäten beginnen, ist es wichtig, dass der Patient versteht, warum ein Aktivitätsaufbau wichtig ist. Denn das Umsetzen vermehrter Aktivitäten kann für den Patienten immense Anstrengung und Überwindung bedeuten, und somit ist es unumgänglich, dass der Patient entsprechend motiviert ist. Dem Patienten wird daher im Vorfeld ein plausibles Erklärungsmodell für die Entstehung seiner Symptomatik vermittelt. Im Falle einer depressiven, antriebslosen Symptomatik erklärt der Therapeut den „Teufelskreis der Depression“, aus negativen Gefühlen, Gedanken und antriebslosem Verhalten, welche sich gegenseitig verstärken und somit in die „Depressionsspirale“ (Abwärtsspirale der depressiven Symptomatik, in der sich alle Symptome wechselseitig verstärken bzw. verschlechtern) führen. Gemeinsam mit dem Patienten werden individuelle, konkrete Beispiele aus dessen eigenem Erleben erarbeitet und besprochen. Wichtig ist der Hinweis, dass die Aktivitäten langsam und schrittweise aufgebaut werden sollen, um eine Überforderung zu vermeiden.

Bei der konkreten Durchführung des Aktivitätsaufbaus werden Arbeitsblätter verwendet, wie beispielsweise ein Wochenplan in Kombination mit einem Stimmungsprotokoll und/oder einer Bewertung der Aktivität (angenehm – neutral – unangenehm).

Beispiel für einen Wochenplan (Montag-Sonntag) mit Stimmungsprotokoll (1-10):

Der Aktivitätsaufbau wird in vier Phasen durchgeführt:

Phase 1: Erhebung des aktuellen Aktivitätsniveaus und Erarbeitung der Funktionalität des Vermeidens

Nach der Vermittlung eines Erklärungsmodells hinsichtlich Notwendigkeit und Nützlichkeit des Aktivitätsaufbaus (Depressionsspirale bzw. Weg aus der Depressionsspirale hinaus), wird im Rahmen einer Problemanalyse geprüft, welche funktionale Bedeutung dem Vermeiden von Aktivität zukommt. Was sind die Vor- und Nachteile des inaktiven Verhaltens? Wovor „schützt“ die Inaktivität den Patienten bzw. was vermeidet er dadurch (z.B. Misserfolgserlebnisse, Anstrengung etc.)? Es soll die Wahrnehmung und Selbstreflexion hinsichtlich des antriebslosen Verhaltens und seiner Konsequenzen verbessert werden.

Als Hausaufgabe protokolliert der Patient sein aktuelles Verhalten anhand eines Wochenplans. Er wird dazu angehalten mindestens einmal pro Tag seine Aktivitäten in den Wochenplan einzutragen und die zu diesem Zeitpunkt bestehende Stimmung zu protokollieren. Im Vorfeld wird genauestens besprochen, wie der Wochenplan geführt werden soll bzw. welche Aktivitäten einzutragen sind. Gerade in der Beobachtungsphase empfiehlt es sich, alles möglichst genau in Stichworten mitzuschreiben, auch jene „Aktivitäten“, die eher passiv sind, wie „fernschauen“, um einen Einblick in die vorherrschende Tagesstruktur des Patienten zu bekommen. Für diese Beobachtungsphase reicht ca. eine Woche. In der darauffolgenden Therapiesitzung wird besprochen, wie zufrieden der Patient mit seiner beobachteten Tagesstruktur und seinem Aktivitätsniveau ist. Beurteilt wird die Frequenz, Intensität und Dauer der ausgeführten Aktivitäten (zu viel? zu wenig? zu kurz? zu lang? zu exzessiv? etc.), sowie die Qualität der ausgeführten Aktivitäten (angenehm oder unangenehm? leicht durchführbar oder nur mit großer Mühe und Überwindung? etc.).

Phase 2: Einplanen und Ausführen vermehrter, vor allem positiv erlebter Aktivitäten

Nach der Analyse der erhobenen Aktivitäten werden Zielsetzungen zur Veränderung besprochen. Wären mehr positive Aktivitäten sinnvoll oder weniger ausgeübte Pflichten und längere Phasen der Erholung und Selbstfürsorge? Werden zwar genügend positive Aktivitäten ausgeübt, aber bleibt zu viel an Pflichten unerledigt und wird dadurch zur Belastung? Gibt es zu viele antriebslose „Leerlaufphasen“ auf der Couch vor dem Fernseher, die der Patient für aktivere Selbstfürsorge, wie Bewegung, Entspannungsübungen oder selbstwertsteigernde Hobbies nutzen könnte? Entsprechend werden gemeinsam konkrete Aktivitäten ausgewählt und eingeplant, die der Patient bis zur nächsten Sitzung durchführen soll. Hilfreich ist eine möglichst genaue Planung im Wochenplan. Der Patient soll sich im Vorfeld überlegen, wann er welche Aktivität durchführen möchte bzw. auch realistischer Weise durchführen kann. Es ist wichtig, die aktuelle Symptomatik des Patienten zu berücksichtigen und nur solche Aktivitäten einzuplanen, die einen geringen Schwierigkeitsgrad haben, damit es nach Möglichkeit zu keinen Misserfolgserlebnissen kommt. Anfangs sollen möglichst positiv erlebte Aktivitäten eingeplant werden, damit der Patient positive Verstärkung erfährt. Ist der Patient aufgrund der depressiven Symptomatik nicht in der Lage, etwas als positiv und angenehm zu erleben, so kann es hilfreich sein, auf Aktivitäten zurück zu greifen, die früher als positiv erlebt wurden. Wichtig ist ein schrittweiser Aufbau, so dass nicht zu viele Aktivitäten auf einmal eingeplant werden, oder solche, die dem Patienten zu viel Überwindung abverlangen würden (Bsp. mit kurzen Spaziergängen anfangen statt gleich für einen Marathon trainieren). Aktivitäten von kurzer Dauer, die in regelmäßigen Abständen ohne viel Aufwand durchgeführt werden können, sind zu bevorzugen (Bsp. „täglich eine halbe Stunde im Park spazieren“ statt „ans Meer fahren“). Große Vorhaben sind in Teilschritte zu zerlegen und möglichst konkret einzuplanen (Bsp. ein Zeitfenster von einer Stunde verplanen um eine bestimmte Lade auszumisten statt das Vorhaben „Haus ausmisten“ zu formulieren). Die Aktivitäten können beispielsweise mit Bleistift in den Wochenplan eingetragen werden und mit Kugelschreiber nachgeschrieben werden sobald sie durchgeführt wurden. Wichtig ist, dass man erkennen kann, was für wann geplant wurde und was davon auch durchgeführt wurde. Die ausgewählten Aktivitäten sollten natürlich positiv formuliert werden (Bsp. „Achtsamkeitsübung machen“ statt „nicht grübeln“) und vom Patienten selbst aktiv gesteuert werden können, also so durchgeführt werden können, dass er dabei möglichst wenig von anderen Personen abhängig ist (Bsp. „Freundin Sabine anrufen“ statt „auf Anruf von Sabine warten“). Die Aktivitäten lassen sich mittelbar oder unmittelbar verstärken. Aktivitäten, welche per se als angenehm erlebt werden, beinhalten eine unmittelbare Verstärkung. Die Verstärkerqualität sollte im Vorfeld genau exploriert werden. Beispielsweise könnte etwas früher als angenehm eingestuft worden sein, in einer depressiven Phase aber als unangenehm erlebt werden (z.B. „Musik komponieren“ – aber in der depressiven Phase erlebt sich der Patient als unkreativ und gerät unter Druck). Unangenehm erlebte Pflichten können mittelbar verstärkt werden, beispielsweise indem sich der Patient eine Belohnung dafür überlegen und gönnen darf.

In regelmäßigen Sitzungen wird besprochen wie es dem Patienten mit der Planung und Durchführung der Aktivitäten geht. Es wird erörtert, welche Aktivitäten dem Patienten leicht fallen und welche er eher vermeidet und warum. Jene Tätigkeiten, die der Patient bereits regelmäßig ausübt sollen ausgebaut werden. Jene Aktivitäten, die der Patient noch vermeidet können in einer Problemanalyse besprochen werden und gegebenenfalls genauer vorbereitet werden, z.B. in einem Rollenspiel geübt werden o.ä.

Phase 3: Aufbau einer Tagesstruktur und Planung spezifischer Aktivitäten

Sobald das allgemeine Aktivitätsniveau erhöht und der Antrieb verbessert ist, kann mit dem Aufbau spezifischer Aktivitäten, die der Patient bislang noch vermeidet, begonnen werden. Dies können beispielsweise unangenehme oder schwierige Aktivitäten sein, die den Patienten große Überwindung kosten und noch vor große Herausforderungen stellen. Wichtig ist, diese Aktivitäten genau zu besprechen, zu schauen, was braucht der Patient um diese durchführen zu können. Braucht er beispielsweise noch Kompetenzen, an deren Aufbau gearbeitet werden kann? Beispielsweise in Form von Hilfen wie der gemeinsame Vorbereitung eines Gespräches (Formulierungen erarbeiten, Rollenspiel etc.) oder der Erarbeitung von Teilschritten, die eine Überwindung erleichtern würden (z.B. „erste Seite vom Bewerbungsschreiben gestalten und danach mit einer Folge aus der Lieblingsserie belohnen“ statt „Bewerbungen schreiben“). Wenn sich der Therapeut sicher ist dass der Patient die Handlung erfolgreich ausführen kann, soll diese in die Planung aufgenommen werden.

Phase 4: Aufrechterhaltung des Aktivitätsniveaus

Nachdem ein erhöhtes Aktivitätsniveau und auch spezifische Aktivitäten aufgebaut wurden, sollten die Aktivitäten noch über mehrere Wochen hinweg protokolliert und nachbesprochen werden. Auftretende Schwierigkeiten sollten nachbesprochen werden und entsprechend der Vorgehensweise in Phase 2 und Phase 3 bearbeitet und werden (Woran liegt es? Was braucht der Patient um die Veränderung umzusetzen und beibehalten zu können?).

Erfolgskriterien, Schwierigkeiten und Fehler

Wenn der Patient subjektiv erlebt, dass Probleme mit aktivem, zielgerichtetem Verhalten zu verbessern sind und dass dies einen positiven Einfluss auf die eigene Stimmungslage und den eigenen Antrieb hat, so ist dies als Erfolg anzusehen. Durch den Vergleich der Aktivitätsprotokolle, wie beispielsweise Wochenpläne, können objektive Erfolgskriterien erhoben werden (z.B. “letzte Woche konnte ich mich nur zweimal zum Spazieren gehen überwinden, diese Woche schon dreimal”).

Vermieden werden soll, dass die Zielsetzungen zu hoch gegriffen sind und dass zu große und schwierige Schritte eingeplant werden. Weiters ist es wichtig, dass der Patient versteht, warum welche Aktivität geplant wird und auftretende (mögliche) Schwierigkeiten ausreichend reflektiert werden. Wichtig ist ebenso, sich nach dem individuellen Tempo des Patienten zu richten und die einzelnen Teilschritte nicht zu schnell vorzugeben bzw. den Schwierigkeitsgrad nicht zu schnell zu erhöhen. Nach Möglichkeit sollte der Patient die Aktivitäten, die er ausüben möchte, selbst auswählen und es sollten nicht zu viele Vorschläge seitens des Therapeuten kommen. Sollte es dem Patienten an eigenen Ideen mangeln, kann eine “Liste angenehmer Aktivitäten” (z.B. Hautzinger, 2012), hilfreich sein. Wenn Schwierigkeiten auftreten, sollte der Therapeut nicht verärgert darauf reagieren und sich mit Interpretationen, warum dies so sei, zurückhalten. Statt dessen ist es zielführender, mittels geleiteten Entdeckens herauszufinden, woran es liegen könnte. Ziele sollten anhand einer möglichst konkreten Zielerreichungsskala vorformuliert werden und überprüfbar gemacht werden (z.B. 3x pro Woche 1 Stunde Laufen als Ziel, begonnen wird jedoch mit kleineren Schritten wie 3x/Woche ½ Stunde Spazieren gehen).

Empirische Absicherung

Der Aktivitätsaufbau gilt als Basis-Strategie der Kognitiven Verhaltenstherapie. Wirksamkeitsstudien beziehen sich meist auf die gesamte Therapie und nicht auf einzelne therapeutische Techniken, Metaanalysen weisen jedoch die Reduktion der depressiven Symptomatik nach Erhöhung positiver Aktivitäten nach (Brakemeier et al., 2017).

Literatur

Brakemeier, E. & Jacobi, F. (2017). Verhaltenstherapie in der Praxis (1. Aufl.). Weinheim:Beltz.

Linden, M. & Hautzinger, M. (2015). Verhaltenstherapiemanual (8.Aufl.). Heidelberg: Springer.

Hautzinger, M. (2012). Depressive Störungen. In G. Meinlschmidt, S. Schneider & J. Margraf (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Materialien für die Psychotherapie (Bd. 4, S.313-322). Berlin: Springer.