Das (hypothetische) Bedingungsmodell (Rabenstein)

Rafael Rabenstein

rafael@rabenstein.net

Die gewonnenen Erkenntnisse der Verhaltens- und Problemanalyse sind Grundlage des (Funktionalen, hypothetischen) Bedingungsmodelles (Kanfer et al., 1991). Dieses gilt als Grundlage der weiteren Therapieplanung und dient den Therapeuten und Patienten als Orientierung. Davon abgeleitet werden weitere Therapieschritte geplant. Es handelt sich um Arbeitshypothesen und dient zur Erstellung eines nachvollziehbaren „Plausiblen Modells“ des aktuellen Problems.

Vorausgehende Bedingungen:

Es werden Bio-Psycho-soziale Bedingen (Abb. ) berücksichtigt und erfasst. Im Rahmen der Klärung vorausgehender Bedingungen werden familiäre Erkrankungen/biologischer Vulnerabilitäten ebenso berücksichtigt wie soziale Faktoren. Es geht dabei nicht um ein monokausales Erklärungsmodell, sondern um die Erfassung der unterschiedlichen Faktoren zu zur Entstehung aktueller Probleme und Krisen beitragen. Es kann sich hier immer nur um eine Annäherung eines multifaktoriellen Geschehens gehen. Wichtig dabei ist es Patienten eine Erklärung für die Entstehungsgeschichte zu geben, welche Veränderungen zulässt. Wir sprechen hier im Sinne des Vulnerabilitäts-Stressmodells auch von Verletzlichkeiten / Vulnerabilitäten.

Diese Verletzlichkeiten führen aber nicht zwangsläufig zu psychischen Problemen oder Krisen. Es wird davon ausgegangen das erst wenn eine Situation die Bewältigungsfähigkeit des betroffenen überschreitet Symptome auftreten.

Aspekte vorausgehender Bedingungen:

  • Temperamentsfaktoren[1]
  • Genetische Faktoren
  • Familiäre Erkrankungen

[1]

Labil   ↔nichtreaktiv
dysthym  ↔optimistisch
ängstlich  ↔ruhig
zwanghaft  ↔ablenkbar
passiv  ↔aggressiv
reizbar  ↔heiter
schüchtern  ↔gesellig

Abb.: Temperamentsfaktoren nach Young et al., 2004

  • (Vor-)Erkrankungen des Patienten
  • Körperliche Faktoren
  • Sozioökonomischer Status
  • Schemata, Regeln, Ziele, Pläne
  • Validierende/invalidierende Umwelt
  • Life Events
  • Traumatisierungen

Auslösende Bedingungen:

Die Erfassung der Auslöser für die aktuelle Krise ist insbesondere bei episodischen Erkrankungen von Bedeutung. Es können sowohl biologische, soziale oder psychische Faktoren auslösend wirken. Besonders Entwicklungsaufgaben, also sogenannte „Lebensabschnittskrisen“ bieten ein hohes Potential Krisen auszulösen. Werden individuelle Fertigkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten überschritten können Symptome Zeichen dieser „Überforderung“ sein. Oft sind Veränderung und Krisen in sozialen Beziehungen ausschlaggebend für den Beginn einer Krise. Aber auch andere Faktoren die das „Selbstkonzept“ des Patienten gefährden wie Jobverlust/-wechsel, körperliche Veränderungen, etc.

Beispiele für auslösende Bedingungen:

  • Trennung oder Verlust von Bezugspersonen
  • Entwicklungsaufgaben wie Adoleszenz, Pensionierung, Elternschaft
  • Körperliche Veränderungen wie Menopause, Unfälle, etc.
  • Änderung der Lebensumstände: Flucht, Krieg, Umzug, Jobwechsel
  • Soziale Bedingungen: Schulden, Arbeitslosigkeit
  • Soziale Konflikte
  • Verstärkerverlust

Aufrechterhaltende Bedingungen:

Im rahmend er Verhaltenstherapie spielen aufrechterhaltende Bedingungen eine entscheidende Rolle. Diese Bedingungen haben oft eine wesentliche Funktionalität für Patienten, wobei hier nicht das Konzept von „Krankheit als Gewinn“ herangezogen werden darf. Oft sind funktionale Aspekte die schlechtere von 2 schlechten Alternativen.

Hier spielen Verstärker und operante Bedingungen eine große Rolle, vor allem die kurzfristige, negative Verstärkung. Als Beispiel ist bei der Sucht der Konsum eine kurzfristige Verbesserung des aktuellen Befindens, wird also negativ verstärkt. Langfristig bestehen allerdings mehr Nachteile. Will man aber therapeutisch den Substanzkonsum bearbeiten, muss man dem Patienten beibringe statt dem Substanzkonsum andere Strategien der Emotionsregulation einzusetzen.

Bespiele Funktionalitäten/aufrechterhaltender Bedingungen:

  • Interpersonelle Funktionalitäten: Regulation von Beziehungen, Vermeidung von Konflikten
  • Vermeidung von Entwicklungsaufgaben
  • Emotionsregulation
  • Maladaptiver bewältigungsversuch: Grübeln, Sicherheitsverhalten
  • Vermeidung negativer Emotionen
  • Sicherheitsverhalten
  • Pläne/Regeln, Schemata, Modi

Modelle:

Es verschiedene Darstellungsformen des Bedingungsmodells und dessen Faktoren. Im näheren werden einige Modelle vorgestellt. Nicht jedes Modell eignet sich um Patienten ein besseres Verständnis für ihre Erkrankung zu liefern. Aber sie dienen als Orientierungshilfen für Therapeuten

Bio-Psycho-Soziales-Bedingungsmodell

Abb.: Bio-Psycho-Soziales Bedingungsmodell

Vorausgehende Bedingungen-Prädisposition:

Bio:

  • Temperament
  • Genetische Faktoren
  • Familienanamnese (Erkrankungen)

Psycho:

  • Familienregeln
  • Sozialisation: Life Chart, Life Events
  • Bindungsstil
  • Plananalyse, Schemaanalyse à Makronanalyse

Sozial:

  • Sozioökonomischer Satus

Auslösende Bedingungen:

Bio:

  • Erkrankungen
  • Unfälle

Sozial:

  • Veränderungen der Lebensgestaltung
  • Beziehungsprobleme
  • Jobwechsel-/verlust

Psycho:

  • Überlastung und Überforderung
  • Entwicklungsaufgaben

Aufrechterhaltende Bedingungen:

Bio:

  • Selbstfürsorgedefizit
  • komorbide körperliche Erkrankungen

Sozial:

  • Sozialer Rückzug
  • Krankenstände

Psycho:

  • Sicherheits- und Vermeidungsverhalten
  • Grübeln, Ruminationen
  • Interpersonelle Funktionalität
  • Nähe/Distanzregulation
  • Nichtlösung von konkurrierenden Annäherungs- und Vermeidungszielen

„SORC(K)“ Modell:

Abb.: Bedingungsmodell – SORC(K)

Neben dem einfachen Bedingungsmodell kann ein funktionales Bedingungsmodell auch in Form eines SORC-Modells (Abb. ) erfolgen. Wobei hier die „Situation – S“ bzw. Auslöser als Auslösende Bedingung gesehen werden kann.

Die O-Variable/Organsimusvariable stellt hier die vorausgehenden Bedingungen her. Dabei werden die Erkenntnisse Vertikale Verhaltensanalyse und andere prädispositionelle Faktoren angeführt.

Unter „Response“ bzw. „Reaktion“, also „R-Variable“ wird die aktuelle Problemlage, die Symptome bzw. die psychische Erkrankung summiert.

Die Konsequenzen, „C-Variable“ sind alle aufrechterhaltenden Faktoren. Sowohl kurz- als auch langfristige.

Siehe Beispiel „Integratives Modell zur Depressionsentstehung”:

S          Auslösende Situation und Lebenssituation – Auslösende Bedingungen

  • Lebensgestaltung:                                                                                                
  • Stützen auf wenige Quellen für Selbstwert                                                 
  • Umwelt wird nach Grad des Nutzens für Selbstwert bewertet und benutzt
  • Beziehungen:
  • Unterdrücken von Verhaltensweisen, die zum Verlust von zentralen Bezugspersonen

Führen

  • Manipulative Gestaltung sozialer Beziehungen (idealistischer Selbstwertspender)
  • Vermeiden von Distanz und Suche nach Nähe in bestehenden Beziehungen (zu wenig Aggression nach außen zeigen, wird gegen eigene Person gerichtet)
  • Auslöser:
  • Verlust oder Fehlen von zentralen Bezugspersonen
  • Nicht mehr ausreichende Zuwendung durch Bezugspersonen
  • Rollenveränderung

O         Organismusvariable – Vorausgehende Bedingungen/Prädisposition

  • Bestätigung von außen, zu wenig Selbsteffizienz, nicht selber loben können
  • Lerngeschichte: Eltern richten Aufmerksamkeit nur auf Fehler, positives ist eine       Prädisposition Selbstverständlichkeit
  • Restriktive Lebensregeln: hoher Leistungsstandard, hohe moralische Ansprüche
  • Biologische Variablen: genetische Faktoren (Bsp. Von Zwillingsstudien)

R          Reaktion – Problemverhalten

  • Depression

K          Konsequenzen – Aufrechterhaltende Bedingungen

  • Negativer Selbstwert
  • Sozialer Rückzug/Passivität                                                                            
  • Traumatische Erfahrungen der Hilflosigkeit – Angst vor Autonomie                   
  • Abhängigkeit von anderen: allein unfähig fühlen, mangelnde Selbsteffizienz,

Symbiotische Beziehungen, keine Autonomie – Abhängigkeit

Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Falloon et al., 19984)

Ein diagnoseübergreifendes und einfaches Bedingungsmodell für eine Vielzahl an Störungen. Es kann leicht vermittelt werden und an individuelle Problemlagen angepasst werden, auch eignet es sich gut, um Ansatzpunkte für Veränderungen aufzuzeigen. Auch aufrechterhaltende Bedingungen lassen sich gut erklären. 

Abb.: Vulnerabilitäts-Stress-Modell

In Abb.: ist das verbreitetet Modell für Angststörungen zu sehen. Es beschäftigt sich auch mit der Grundanspannung, also dem generellen Belastungsniveau. Ansatzpunkte wären hier Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen. Stressoren heben das Stressnivueau nur über die Wahrnehmnungsschwelle wenn die Gundbelastung hoch ist. Die Schwelle von 70-75% wird je nach Grundproblem als Panikschwelle, subjektive Wahrnehmungsschwelle oder im DBT „point of no return“ genannt. Diese Schwelle markiert die Übernahme des „Alarmsystems“, d.h. die emotionale Reaktion führt zu einer extremen Belastung, einer Panik Attacke, eine, dissoziativem Zustand oder ähnlichem. Die kognitive Kontrolle ist in diesem Zustand kaum mehr möglich.

Abb.: Vulnerabilitäts-Stress-Modell inkl. Problemverhalten

Abb.: zeigt stellt die Bewältigungs- und Problemlöseversuche dar. Da diese meist maldadaptive Strategien sind, wird hier meistens das „Problemverhalten“ angeführt. Je nach Problemverhalten können hier nahezu alle Störungsmodelle mit „negativer“ Verstärkung dargestellt werden umso das Verständnis für die eigenen maladaptiven Problemlöseversuche zu vermitteln. Diese Darstellungsform ist für eine Vielzahl an Störungen, aber auch störungsübergreifend gut anwendbar.

Abb.: vereinfachtes Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Ein vereinfachtes Bedingungsmodell ist in Abb.: zu sehen. Besonders für Störungen in welcher emotionalen Vulnerabilität zur Störungsgenese gehören eignet es sich im Rahmen von Psychosen, bipolaren Störungen oder Borderline Störung.

Literatur:

Caspar F (2007). Beziehungen und Probleme verstehen – Eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse. Bern: Huber.

Bartling, G., Echelmeyer, L., Engberding, M. & Krause, R (2004). Problemanalyse im therapeutischen Prozeß, 5. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.

Falloon, IH, Boyd, JL, McGill, CW (1984). Family care of schizophrenia:  A problem solving approach to the treatment of mental illness. New York: Guildford

Hautzinger M (2003). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depression. Weinheim: Beltz.

Kanfer FH, Reinecker H, Schmelzer D (1996). Selbstmanagement-Therapie. Berlin: Springer.

Margraf J, Schneider S (Hrsg.) (2000). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 1. Zweite vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Springer.

Parfy E, Schuch B, Lenz G (2016). Verhaltenstherapie: Moderne Ansätze für Theorie und Praxis, 2.Auflage. Wien: Facultas/UTB.

Wittchen, HU. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Berlin: Springer