Burkhard Dafert
- Theorie
Die Dialektisch Behaviorale Therapie oder kurz DBT, und einer deren zentralen Therapiebausteine, das Skillstraining, gehen auf Marsha M. Linehan zurück. Ursprünglich zur Behandlung der chronischen Suizidalität entwickelt, zeigte sich die DBT als eine hocheffiziente Interventionsform in der psychotherapeutischen Behandlung der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung Typ Borderline. Nach Erweiterungen und Modifikationen findet diese Interventionsform nun bei allen psychischen Störungen, wo Probleme mit der Affekt- und Emotionsregulation und der Impulskontrolle eine bedeutsame Rolle spielen, ihre Anwendung.
Hinsichtlich der Genese psychischer Störungen orientiert sich das Skillstraining am bio – psycho – sozialen Modell. Neben genetischen Dispositionen und körperlichen Veränderungen wird besonders die Bedeutung des invalidierenden Umfelds für die Entstehung dysfunktionalen Verhaltens hervorgehoben. In einem invalidierenden Umfeld werden selbstbestimmtes Verhalten oder Mitteilungen persönlicher emotionaler Erfahrungen nicht bestärkt, sondern kritisiert, als sozial nicht verträglich etikettiert und in den schlechtesten Fällen pathologisiert oder direkt bestraft. Das Individuum lernt in einem solch invalidierenden Umfeld nicht, Vertrauen in die eigenen Emotionen und Kognitionen als adäquate Antworten auf Ereignisse zu entwickeln. Es gelingt daher nicht Gefühle zu benennen und eine effektive Emotionsmodulationsfähigkeit und damit auch eine effiziente Spannungsregulation zu entwickeln.
Im Skillstraining werden Ansätze der klassischen und kognitiven Verhaltenstherapie, achtsamkeitsbasierte Ansätze und körperorientierte Techniken miteinander kombiniert. Für den Anwender sind Kenntnisse der klinischen Symptomatik, das Wissen über biologische Faktoren und psychosoziale Zusammenhänge, sowie über die Folgen von traumatischen Erfahrungen, Kenntnisse der Bindungstheorien, sowie Kenntnisse über die Entwicklung dysfunktionaler Schemata und Beziehungsmuster unabdingbar. Mit diesem Wissen können die dahinter liegenden Störungen verstanden und passende Skills ausgewählt werden.
Skillstraining setzt sich aus 5 Modulen zusammen: Achtsamkeit, Emotionsmodulation, Stresstoleranz, zwischenmenschliche Fertigkeiten und Selbstwert. Das Modul Selbstwert ist in der ursprünglichen Fassung des Skillstrainings von Linehan (vgl. Linehan 2015) nicht als eigens Modul vorhanden, wird aber im deutschsprachigen Raum standardmäßig als solches angeführt. Inhaltlich orientiert sich das Modul Selbstwert am Programm zum Aufbau von Selbstwertgefühl nach Potreck – Rose und Jacob (Potreck – Rose & Jacob, 2015).
- Anwendungsgebiete
Wie bereits erwähnt kann Skillstraining bei allen psychischen Störungen, bei denen Probleme im Bereich der Emotionsmodulation und Spannungsregulation im Vordergrund stehen, sinnvoll eingesetzt werden. Es existieren eigene Skillstrainingsprogramme für BPS, PTBS, Sucht, Essstörungen, den Bereich der Forensik, den pädagogischen Bereich und für die Arbeit mit Jugendlichen und viele weitere Bereiche.
Ursprünglich nur als einer der 4 Grundbausteine der DBT, Einzeltherapie, Skillstraining, Telefonkontakte und Supervision für den Behandler, gedacht, kommt Skillstraining mittlerweile auch in Kombination mit anderen Therapieverfahren oder als Skillstraining allein, insbesondere in der stationären Behandlung zur Anwendung. Skillstraining kann sowohl als Gruppentraining, als auch im Einzelsetting zum Einsatz kommen. Die Vermittlung aller 5 Module ist zu empfehlen, es kann von dieser Standardform aber auch abgewichen werden und es können nur einzelne Module des Trainings, beziehungsweise einzelne Teilabschnitte von Modulen vermittelt werden. Um von einem Skillstraining sprechen zu können müssen auf jeden Fall Aspekte der Achtsamkeit, der Stresstoleranz und der Emotionsmodulation vermittelt werden.
- Praktische Anwendung
Mittels Skillstraining sollen den Patientinnen einerseits bereits vorhandene Fertigkeiten bewusst gemacht werden, andererseits sollen neue Fertigkeiten erlernt und trainiert werden. Durch fortschreitende bewusste Integration der Skills in das Verhaltensrepertoire des Patienten soll eine automatisierte Anwendung in Krisensituationen erreicht werden.
Dies erfolgt durch Vermittlung von theoretischem Wissen über Entstehung und Aufrechterhaltung von Problemverhalten und psychischen Störungen, praktischen Übungen und Erfahrungsaustausch.
Was sind Skills?
M. Linehan definiert “Skills“ als kognitive, emotionale und handlungsbezogene Reaktionen, die sowohl kurz- als auch langfristig zu einem Maximum an positiven und einem Minimum an negativen Ergebnissen führen. Diese Reaktionen können automatisiert sein oder bewusst eingesetzt werden (Linehan 1996b).
Mittels Skills können wir unser Denken und unser Verhalten gezielt steuern. Der Patient soll lernen, sich mit kurzen prägnanten Selbstinstruktionen durch Krisen zu steuern, ohne auf selbstschädigende Verhaltensweise zurückgreifen zu müssen. Skills dienen also der Bewältigung von akuten Krisensituationen als auch der Bewältigung des alltäglichen Lebens. Kurzfristig können Skills ungeeignete Wahrnehmungs-, Gefühls- oder Verhaltensmuster ersetzen. Langfristig können mittels Skills Sichtweisen und Interpretationsmuster sich selbst, aber auch der Umwelt gegenüber modifiziert werden.
Verhalten des Trainers
Der Trainer orientiert sich an der in der DBT üblichen dialektischen Grundhaltung. Er versucht die Balance zwischen Akzeptanz und Veränderung, zwischen validierenden und fordernden Interventionen zu bewahren.
Trainingsaufgaben
Neben dem Erwerb und der Verstärkung von Skills während des Trainings stellt die Arbeit mit Trainings- oder Hausaufgaben die Generalisierung der neu erworbenen Fertigkeiten sicher. Nur Skills die ausreichend trainiert wurden, stehen im Krisenfall zur Verfügung. Es gilt der Grundsatz, dass alle Skills unter NON – Stress – Bedingungen geübt werden müssen. Dies geschieht unter dem Motto „Die Feuerwehr übt nicht im Brandfall!“.
Behandlungsvertrag
Der Behandlungsvertrag ist ein wichtiger Bestandteil des Skillstrainings. In diesem Vertrag verpflichtet sich der Klient die erlernten Skills zu üben und an der Reduktion des definierten Problemverhaltens zu arbeiten. Der Trainer verpflichtet sich zur Weiterbildung und Einhaltung der vereinbarten Rahmenbedingungen. Weitere mögliche Inhalte des Behandlungsvertrags finden sich in folgender Aufzählung:
- Dauer
- Anwesenheit
- Teilnahmebedingungen
- Pünktlichkeit
- Hausaufgaben
- Kontakte außerhalb der Gruppe
- Umgang mit Selbstverletzungen
- Verlassen der Gruppe während der Sitzung
- Umgang mit Suizidabsichten bzw. Gefährdung
- Keine Paare
- Schweigepflicht / Vertraulichkeit
- Alkohol / Drogen
- Time out – Regelung
Modul 1: Achtsamkeit
Ziel dieses Moduls ist die Schulung der bewertungsfreien Wahrnehmung und der Fokussierung auf den Augenblick. Achtsamkeit bietet die Möglichkeit Selbstregulationsprozesse zu erkennen und zu modifizieren. Die Unterbrechung der Routinen in der Informationsverarbeitung ermöglicht Neubewertungen und es kommt in weiterer Folge zu einer Reduktion von Vermeidungsverhalten. Im Zustand der Achtsamkeit können dysfunktionale Grundannahmen leichter erkannt und verändert werden. Diese „Satellitenposition“ zum eigenen Selbst und den eigenen kognitiven Prozessen ist Grundvoraussetzung für viele weitere Skills. Deshalb steht das Modul Achtsamkeit am Beginn des Skillstraings. Achtsamkeit, die Mutter aller Skills, ist also einerseits Ziel des Skillstrainings, andererseits auch Voraussetzung für alle anderen Module.
Achtsamkeit wird als erlern- und trainierbare Fertigkeit verstanden. Im Skillstraining wird zwischen den „Was – Fertigkeiten“ und den „Wie – Fertigkeiten“ unterschieden. Die „Was – Fertigkeiten“ sind Wahrnehmen, Beschreiben und Teilnehmen. Die „Wie – Fertigkeiten“ sind das Einnehmen einer nicht wertenden Haltung, die Konzentration auf den Augenblick und das wirkungsvolle Handeln.
Durch regelmäßiges Trainieren der „Was – und Wie – Fertigkeiten“ soll der Geisteszustand des intuitiven Wissens erreicht werden. Dieses intuitive Wissen ist die Synthese aus rationalem Geisteszustand, wo Intellekt und Logik vorherrschen, und dem emotionalen Geisteszustand, wo Emotionen und Stimmungen im Vordergrund stehen.
Modul 2: Stresstoleranz
„Stresstoleranz ist die Fähigkeit, Krisen auszuhalten und zu überleben, ohne die Dinge schlimmer zu machen“ (Linehan 2016, S. 320).
Das Modul Stresstoleranz gliedert sich in 2 Abschnitte: Im ersten Teil werden Skills vermittelt, die der Bewältigung von akuten Krisen und den dabei auftretenden aversiven Hochspannungszuständen oder auch dissoziativen Zuständen dienen. Der Patient soll lernen, die bislang eingesetzten selbstschädigenden Verhaltensweisen durch weniger selbstschädigende Verhaltensweisen zu ersetzen. In Hochstresssituationen ist der normale Weg der Erregungsleitung über Hippocampus und Cortex gestört oder, wie im Falle der Dissoziation, fast gänzlich blockiert (Sendera, 2010). Dadurch kommt es zu einer Einschränkung der kognitiven Fertigkeiten. Durch das Setzen intensiver Sinnesreize kann diese Blockade durchbrochen und die Handlungsfähigkeit wiederhergestellt werden. Der Patient erlernt dieses Durchbrechen, indem er sich Skillsketten erarbeitet. Unter Skillsketten wird eine gleichbleibende Abfolge von Skills verstanden, die vom Patienten unter „Non – Stress – Bedingungen“ trainiert werden, mit dem Ziel, auch im Krisenfall handlungsfähig zu bleiben. Skillsketten beginnen oft mit dem Setzen eines intensiven Sinnesreizes. Dies kann ein Schmerzreiz, ein Kältereiz, aber auch eine intensive Geruchs- oder Geschmacksempfindung sein. Wichtig ist die Verfügbarkeit des Reizes in der Krisensituation. Der Patient wird daher angehalten eine Auswahl von Sinnesreizen in einem „Notfallkoffer“ immer bei sich zu tragen. An zweiter Stelle beinhaltet die Skillskette Strategien zur Überprüfung der Realität. Danach folgen Skills zur Emotionsregulation oder auch Strategien zur Ablenkung, zur Beruhigung oder zur Verbesserung des Augenblicks. Der Einsatz der Stresstoleranzskills stellt einerseits die Spannungsreduktion auf ein erträgliches Maß sicher, andererseits können viele Skills aus anderen Modulen erst dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn die kognitive Leistungsfähigkeit wiederhergestellt ist.
Im zweiten Teil geht es um die Vermittlung von Skills, welche die Patienten in der allgemeinen Lebensführung unterstützen sollen. Neben der Vermittlung der Bereitschaft neue Wege zu begehen, werden mit den Patientinnen Strategien erarbeitet, ihr Leben so zu gestalten, dass zweckmäßiges Handeln im Vordergrund steht. Der Patient lernt zwischen veränderbaren Lebensumständen und unveränderbaren Umweltbedingungen, die akzeptiert werden müssen, zu differenzieren. Im Skillstraining werden Strategien vermittelt, wie Veränderungen effizient zu gestalten sind. Patienten sind oft mit der gedanklichen Suche nach optimalen Lösungen beschäftigt, die unter realen, eingeschränkten Bedingungen nicht umsetzbar sind, was häufig zur Inaktivität und Passivität führt. Im Skillstraining wird der Fokus bei veränderbaren Problemen auf den nächsten möglichen Schritt gelenkt, der den Patienten der Zielerreichung näherbringt, was zu einer Erhöhung der Aktivität und des Erlebens von Selbstwirksamkeit beim Patienten führt. Den unveränderbaren Umständen lernt der Patient im Skillstraining mit einer achtsamen, akzeptierenden Grundhaltung zu begegnen, wobei diese Akzeptanz nicht mit Gutheißen einer ungerechten und leidvollen Realität verwechselt werden darf.
Modul Emotionsmodulation
Dieses Modul bildet das Kernstück des Skillstrainings.
Im Skillstraining wird vom evolutionären Wert der Emotionen ausgegangen. Gefühle sind automatisch ablaufende Reaktionsmuster auf externe und interne Stimuli, die rasche Handlungsabläufe gewährleisten. Im Laufe der Evolution haben sich diese Reaktionsmuster entwickelt, weil sie das Überleben sicherten oder zur wiederkehrenden Problemlösung nützlich waren. Diese Emotionen sind als emotionales Netz repräsentiert. Dieses Netz umfasst Wahrnehmung, Denken, körperliche bzw. physiologische Reaktionen und Handlungsaufforderungen. Emotionsmodulation bedeutet die Fähigkeit der Steuerung der Intensität der emotionalen Reaktion über die Beeinflussung der Komponenten des emotionalen Netzes.
Im Skillstraining lernt der Patient einzelne Emotionen anhand der unterschiedlichen Komponenten des emotionalen Netzes zu erkennen und zu differenzieren. Mittels gezielter Steuerung und Kontrolle der Handlungsintentionen, der Körperhaltung und körperlichen Reaktionen, sowie der Veränderung von Interpretationsmustern und kognitiven Prozessen, können Emotionen gezielt beeinflusst werden.
Weitere Schwerpunkte dieses Moduls bilden das Erkennen von emotionstypischen Auslösesituationen und für die jeweilige Emotion typischen Vorläufer- und Folgeemotionen, sowie die Vermittlung von Skills zur Verringerung der emotionalen Verwundbarkeit. Die Identifikation und Veränderung dysfunktionaler Grundannahmen bezüglich Emotionen und Emotionsmodulation ergänzen das Modul Emotionsmodulation.
Modul 3: Zwischenmenschliche Fertigkeiten
In diesem Modul lernt der Klient interpersonelle Konflikte auszutragen, ohne die Beziehung zu seinem Gegenüber zu gefährden und ohne die Selbstachtung zu verlieren. Er soll auf eigenen Wünschen, Zielen und Meinungen bestehen können und in der Lage sein, die Intensität seiner Reaktion zu steuern. Skills für den Bereich der verbalen und nonverbalen Kommunikation ergänzen dieses Modul.
Das Beschreiben von Verhaltensfertigkeiten und Handlungsabläufen bedeutet noch nicht zwangsläufig, dass diese Fertigkeiten auch in realen sozialen Situationen angewandt werden können. Das Rollenspiel ist in diesem Modul daher eine der vorrangigen Methoden der Wissensvermittlung.
Modul 4: Selbstwert
In diesem Modul lassen sich drei Kernbereiche unterscheiden: Der Aufbau eines realistischen positiven Selbstwertes, der Identifikation und Veränderung dysfunktionaler Grundannahmen sich selbst gegenüber und der Aufbau selbstfürsorglichen Verhaltens.
Der Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls erfolgt einerseits durch die Erweiterung von Kompetenzen, der Förderung von angenehmen Erlebnissen mit der eigenen Position und dem Erkennen und Verändern von dysfunktionalen Bewertungen (Bohus & Wolf, 2009,S. 320). Die Bearbeitung dysfunktionaler Grundannahmen ist an die Regeln der kognitiven Umstrukturierung angelehnt. Dysfunktionale Grundannahmen werden benannt, verändert und durch funktionalere Annahmen ersetzt. Diese funktionalen Annahmen werden anschließend im Verhaltensexperiment überprüft. Der Aufbau selbtsfürsorglichen Verhaltens umfasst das Erstellen von Listen mit angenehmen Aktivitäten, genauso wie die Entwicklung eines fairen Blicks gegenüber der eigenen Person und den eigenen Handlungen.
- Evidenz
In randomisierten kontrollierten Studien konnten positive Effekte in den Bereichen emotionale Dysregulation, affektive Instabilität und zwischenmenschliche Kompetenzen nachgewiesen werden. Skillstraining erwies sich als wirksam bei PTBS, Depressionen, Suchtproblemen und Essstörungen. Eine Übersicht über den aktuellen Forschungsstand zur Wirksamkeit von Skillstraining findet sich bei Linehan 2017.
Literatur:
Bohus, M & Wolf, M. (2009) Interaktives SkillsTraining für Borderline-Patienten. Stuttgart, New York: Schattauer
Linehan, M. (1996) Dialektisch-behaviorale Therapie der Borderline Persönlichkeitsstörung. München: CIP-Medien
Linehan, M. (1996) Trainingsmanual zur DBT der Borderline. PS München: CIP-Medien
Linehan, M. (2017) Handbuch der Dialektisch – Behavioralen Therapie Band 1: DBT Skills Training Manual. München: CIP Medien
Linehan, M. (2017) Handbuch der Dialektisch – Behavioralen Therapie Band 2: Arbeitsbuch für TherapeutInnen und PatientInnen. München: CIP Medien
Potreck-Rose, F. & Jacob, G. (2006) Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl. Stuttgart: Klett-Cotta.
Sendera, A. & Sendera, M. (2005/2007/2012) Skills-Training bei Borderline- und Posttraumatischer Belastungsstörung. Wien: Springer
Sendera, A. & Sendera, M. (2010) Borderline – die andere Art zu fühlen. Beziehungen verstehen und leben. Wien: Springer