Rafael Rabenstein
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Verhaltenstherapie ist neben einem störungsspezifischen Zugang, immer eine personalisierte, bzw. individualisierte Therapie. Zentraler Bestandteil dieses Zuganges ist die verhaltenstherapeutische Diagnostik, die Problemanalyse. Die Erkenntnisse dieses diagnostischen Prozesses mündet in einem hypothetischen und funktionalen Bedingungsmodell welches sowohl als Erklärungs- aber auch als Lösungsmodell dient (siehe Kapitel III.4). Es handelt sich hierbei nicht um ein abgeschlossenes Vorgehen, sondern wird im Rahmen der laufenden Therapie angepasst, verändert und führt auch zum Verwerfen von Hypothesen.
Die wichtigsten Instrumente der verhaltenstherapeutischen Diagnostik sind die vertikale und horizontale Verhaltensanalyse (Abb.: III.3.2.a).
Abbildung 1: Horizontale und vertikale Verhaltensanalyse
III.3.2.1. Horizontale Verhaltensanalyse
Die horizontale Verhaltensanalyse orientiert sich an dem Modell des operanten, bzw. instrumentellen Lernens. Eine zentrale Annahme ist das Verhalten in Form von Verstärkung und im geringeren Maße durch Bestrafung ge- und verlernt wird (Abb. 3.2.1.a). Allerdings stellen motivationale Aspekte eine wesentliche verhaltenssteuernde Komponente dar, siehe dazu vertikale Verhaltensanalyse, Kapitel III.3.2.2. Im Weiteren werden die zwei wichtigsten Modelle der horizontalen Verhaltenstherapie dargestellt.
Abbildung 2: Verstärker
III.3.2.1.1. Kanfer
Einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Problemanalyse, sowohl vertikal als auch horizontal haben Kanfer et al. geleistet. (Kanfer et al., 1996). Sein dynamisches Modell der Selbstregulation ist eines der Standardmodelle innerhalb der Verhaltenstherapie. Besonders den Organismusvariablen wird dabei Beachtung geschenkt. Die O-Variable wird im Rahmen der vertikalen Verhaltensanalyse, Kapitel 3.2.2. näher beschrieben. Hierbei handelt es sich um eine Erweiterung des operanten Lernmodells von Skinner, dem SORC(K[1]), bzw. SORK-Modell (deutsch).
Abbildung 3: SORC-Modell, dynamisches Selbstregulationssystem Kanfer et al., 1996
Diese Form des SORK-Schema kann unterschiedlich ausgelegt werden:
- Es ist möglich in der O-Variable alle vorausgehenden Bedingungen in Form von Regeln, Grundannahmen, also Aspekte der vertikalen Verhaltensanalyse subsummiert werden und die Reaktion dann in Form von automatischen Gedanken und emotionalen Reaktionen beschrieben werden. Konsequenz könnet ein verhalten wie Selbstverletzung, Substanzkonsum etc. sein. Um die Konsequenzen des Problemverhaltens zu erkennen müsste man eine Verhaltenskettenanalyse durchführen.
- Eine zweite Zugangsweise wäre, in der O-Variable nur unmittelbare Reaktionen zu erfassen. Wie automatische Gedanken und emotionale, bzw. körperliche Reaktionen. Reaktion wäre dann ein Problemverhalten wie exzessives Händewaschen bei Waschzwang. Die Konsequenz wäre einerseits die negative Verstärkung – ein unangenehmes Gefühl wird runter reguliert. Eine zweite Konsequenz aber Hautschäden, Arbeitsverlust durch langwieriges Zwangsverhalten.
Beide Zugänge sind möglich. Wichtig dabei ist es Patienten ein leicht verständliches Vorgehen zu vermitteln.
III.3.2.1.2. Bartling
Bartling steuert ein weiteres Modell für die Problemanalyse bei. Es bestehen viele Übereinstimmungen zu zu Kanfers Modell. Allerdings wird die O-Variable hier mit Internen Verarbeitung und Wahrnehmungsprozesse beschrieben. Die Anteile, die auf diese Prozesse im aktuellen Geschehen wirken werden, hier in der vertikalen Verhaltensanalyse (Plananalyse, Systemregeln) angeben. Sie orientiert sich dabei auch an der Plananalyse von Casper und auch Grawe. Durch die Beschreibung von Wahrnehmung und Interpretation wird der Fokus aus subjektive Bewertungs-, Wahrnehmungs- und Erlebensmuster gelegt.
Vor allem wenn sich ein Problemverhalten durch interpersonelle Funktionalitäten bedingt ist, ist die Differenzierung zwischen internen und externen Faktoren nützlich.
Abbildung 4: Verhaltenssequenz nach Bartling (1998)
III.3.2.1.3. „Verhaltensketten“
Eine besondere Form der Verhaltensanalyse ist die „Verhaltensketten-Analyse“. Dieses Vorgehen ist vor allem bei der Erarbeitung von Skillsketten in der DBT bekannt. Ziel ist es Problemverhalten in einzelne Sequenzen zu gliedern und vor allem unklare Auslöser heraus zu erarbeiten. Oft kann von Patienten nicht artikuliert werden warum es zu einer Krise wie Selbstverletzendes Verhalten, Konflikte oder dissoziative Zustände gekommen ist. Der Start ist daher oft das Ende einer länger andauernden Krise, also das Problemverhalten. Es bedarf oft einer genauen Betrachtung um ursächliche Auslöser zu identifizieren. Das kann eine erlebte Zurückweisung mit verbundenen Verlassensängsten oder ähnlichem sein, welche zeitlich auch länger zurückliegen kann.
Die Kettenanalyse untersucht die Ereigniskette, die zu unwirksamen Verhaltensweisen führt, sowie die Konsequenzen dieser Verhaltensweisen, die es möglicherweise erschweren könnten sie zu verändern. Sie hilft Ihnen auch herauszufinden, wie man den Schaden beheben kann. (M. Linehan 1996b)
Welche Begrifflichkeit verwendet wird richtet sich nach der Orientierung im therapeutischen Setting. Ob verschiedene Emotionen wie Wut, Angst, etc. oder „Schemamodi“ verwendet werden ist hier sekundär. Wichtig ist es in Folge für jedes Glied der Kette Strategien im Umgang mit den belastenden Emotionen zu finden.
Abbildung 5: „Ketten-Verhaltensanalyse“ adaptiert nach Linehan et al., 1996b
III.3.2.1.4. Zusammenfassung
Jedes Modell ist nur dann gut wenn es hilft Probleme besser zu verstehen und es hilft Veränderungen zu ermöglichen. In diesem Sinne empfehlen wir die Verhaltensanalyse (Abb.3.2.1.4.a) so einfach wie möglich zu machen, um Patienten nicht zu überfordern. An dieser Stelle wird ein Modell empfohlen, welches in großen und ganzen eine Synthese aus Kanfer und Bartling darstellt.
Situation: Alle internen oder externen Stimuli (im Gegensatz zu Kanfer)
O-Variable: Gedanken, Bewertungen und Interpretationen
Gefühle und Emotionen
Physiologische Reaktionen vor allem vegetative Symptome: Herzklopfen, Schwitzen, etc.
à Die O-Variable bezieht sich auf die gerade erlebten inneren Prozesse
Verhalten primär sichtbares Verhalten
In Situation: aber auch Gedankenzwänge, Grübeln, Sorgenmachen, etc.
Konsequenzen:
wichtig zu unterscheiden ob Konsequenzen für die Person oder Umfeld relevant sind
Auch ob Verhalten kurzfristig Erleichterung bringt und
langfristig eventuell negative Folgen hat
Abbildung 6: Verhaltensanalyse (adaptiert nach Marx, 2004)
Oft ist es für Patienten zu Beginn sehr schwer Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen zu differenzieren, oft ist dies auch Teil der Problematik. Es erfordert dann Geduld und ein wiederholtes gemeinsames Besprechen der Verhaltensanalyse.
Verhaltensanalysen haben neben dem diagnostischen Aspekt auch eine Rolle im Rahmen des Selbstmanagements oder als Selbstkontrollstrategie. Oft ändert das Beobachten eines Verhaltens das Verhalten bereits, oder bringt Linderung durch Distanzierung zur Situation.
Literatur:
Bartling G, Echelmeyer L, Engberding M (2016). Problemanalyse im psychotherapeutischen Prozess: Leitfaden für die Praxis. 6. überarbeitete Auflage, Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
Beck JS (2013). Praxis der Kognitiven Therapie. Weinheim: Beltz.
Caspar F (2007). Beziehungen und Probleme verstehen-Eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse. Huber: Bern.
Kanfer FH, Reinecker H, Schmelzer D (2012). Selbstmanagement-Therapie. Ein Lehrbuch für die klinische Praxis. 5. Auflage. Berlin: Springer.
III.3.2.2. Vertikale Verhaltensanalyse
Im folgenden Kapitel werden mehre Modelle der vertikalen Verhaltensanalyse dargestellt. Allein gemein ist die Annahme einer hierarchischen Struktur, d.h. verschiedener Ebenen von verhaltenssteuernden Aspekten. Im Rahmen der kognitiven Psychologie hat sich allgemein der Begriff Schema oder Schemata für die höchste Ordnungsebene durchgesetzt, Diese Schemata haben sowohl emotionale als auch kognitive Anteile. Sie können durch eine Vielzahl an Stimuli ausgelöst werden. Mehrere Forscher gehen davon aus, dass sich die Aktivierung dieser Schemata als neuronale Erregungsmuster im Gehirn abbilden lassen, diese bestehen aus verschiedenen Arealen im Gehirn die gemeinsam „feuern“.
Der Fokus der verschiedenen Schemaansätze ist allerdings etwas unterschiedlich. Young beschreibt 18 maladaptive Schemata, die vor allem bei Persönlichkeitsstörungen vorkommen, er ist Schüler von A.T. Beck gewesen. Grawe wiederum geht davon aus, dass es mehrere motivationale Schemata pro Grundbedürfnis gibt. Diese bilden Ziele, Motive für das eigene Handeln und Erleben. Diese Pläne, Ziele, Motive können auch in Konflikt geraten und so Leid verursachen. Greenberg, aus der Gestalttherapie kommend, setzt bei seinem Schemabegriff hauptsächlich auf die emotionalen Komponenten.
J. Beck die die kognitive Therapie ihres Vaters weiter entwickelt hat wiederum konzentriert sich vor allem auf die kognitiven Anteile. Auch A.T. Beck beschreibt den Begriff Schema in seinen Arbeiten zu Persönlichkeitsstörungen.
III.3.2.2.1 Plananalyse nach Caspar
Die Plananalyse ist ursprünglich näher an der kognitiven Therapie orientiert gewesen, mittlerweile aber stärker an die motivationalen Schemata von Grawe. Die wichtigste Aussage ist, dass wir Menschen von verschiedenen Plänen wir unsere Bedürfnisse und Ziele umsetzen können geleitet werden.
Es gibt ober- und Unterpläne und Regeln wie diese umzusetzen sind. Regeln sind also mehr Handlungsanleitend. Auch hier kann es noch hierarchische Abstufungen geben. Neben konflikthaften Plänen ist es auch wichtig ein Verständnis für eigene Verhaltensweisen zu erarbeiten, denn oft führen diese Pläne und regeln zu wenig selbstfürsorglichem Verhalten. Ursprünglich dienten sie einer Umwelt gerecht zu werden die nicht immer validierend war und einer unvoreingenommenen Bedürfnisbefriedigung offen war. In Abbildung 7: Plananalyse nach Marx (2004) ein Beispiel für eine Plananalyse. Ob man dabei „Bottom Up“ oder „Bottom Down“ vorgeht ist je nach Problemlage unterschiedlich.
Abbildung 7: Plananalyse nach Marx (2004)
In Abbildung 8: Plananalyse (adaptiert nach Bartling et al., S.60, 2004) ist eine adaptierte Plananalyse nach Bartling zu sehen. Hier um die ebene von Grundbedürfnissen erweitert. Es lohnt sich das Modell von Grawe zu vermitteln da es meistens gut verständlich ist und mittlerweile weit verbreitet.
Abbildung 8: Plananalyse (adaptiert nach Bartling et al., S.60, 2004)
Auch hier gilt es nicht zu akademisch an die Arbeit mit Patienten heran zu gehen, das Modell ist nur so gut es dient Patienten ein Verständnis für ihre Schwierigkeiten zu liefern.
III.3.2.2.2. kognitives Fallkonzept J. Beck
Judith Beck hat die Arbeit ihres Vaters A.T. Beck weitergeführt. Auf das Gesamtkonzept wird im Kapitel: Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. näher eingegangen. Hier nur die Aspekte des Fallkonzeptes im Rahmen der Problemanalyse. Es gibt durchwegs große Gemeinsamkeiten mit der ursprünglichen Plananalyse von Casper. Allerdings werden die bedingten Annahmen anders als nur in Plänen und Regeln beschrieben.
- Grundannahmen – Core beliefs – zentrale Fremd- und Selbstschemata
Hierbei handelt es sich neben zentralen Annahmen über sich und der Umwelt auch um grundannahmen wie „Ich bin schlecht“, „ Ich bin schuld“, etc. aber natürlich auch positive Selbstzuschreibungen „ich bin ein guter Mensch“, etc.
- Bedingte Annahmen
- Axiome: Es handelt sich um absolut richtig anerkannte Grundsätze. Grundsätze wie eine Regel erreichbar oder nicht erreicht werden kann.
- Einstellungen: Es handelt sich um die Bewertung zur Grundannahme: „Es ist furchtbar schlecht zu sein“
- Regeln: Ähnlich den kompensatorischen Strategien handelt es sich um die Anleitung diese Grundannahme zu vermeiden, bzw. die zu umgehen
- Kompensatorische Strategie(n) – Coping Stile
Vor allem übergeordnete Strategien um der Grundannahme zu „entkommen“ diese zu kompensieren oder zu vermeiden. Hier gibt es große Überlappungen mit den Bewältiungsmodi und bedingten Schemata bei Young
- Automatische Gedanken
Alle Bilder, Gedanken, Intrusive Gedanken, Bewertungen und Interpretationen in einer Situation
- Gefühle
Oft schwierig für Patienten, es vermischen sich oft Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen; Hier bedarf es oft einiger Zeit um die Gedanken wahrzunehmen und benennen zu lernen
In Abbildung 9 Beispiel für ein kognitives Fallkonzept, ist ein Beispiel für ein Fallkonzept angeführt:
Abbildung 9 Beispiel für ein kognitives Fallkonzept
Auch Young und andere Vertreter der 3. Welle, also der Achtsamkeitsbasierten Störungen kommen ursprünglich aus der kognitiven Therapie.
Literatur:
Beck AT (1976). Cognitive therapy and the emotional disorders. New York: International Universities Press.
Beck JS (2013). Praxis der Kognitiven Therapie. Weinheim: Beltz.
Young JE, Klosko JS, Weishaar ME (2008). Schematherapie. Paderborn: Junfermann.
III.3.2.2.3. Schemata
Der Begriff Schema kommt aus der kognitiven Psychologie und der Beschreibung von Wahrnehmungs-, Informationsverarbeitungs- und Gedächtnisvorgängen. Dieser wurde von Forschern wie Bartlett (1932) und Piaget (1936) geprägt. Sie sind Teil des impliziten Gedächtnisses, erden also nicht bewusst abgerufen. Es gibt keine einheitliche Definition, Schemata werden als Wissenstrukturen, Kategorien, Scripts, Repräsentanzen oder ähnlichem beschrieben. Gemein ist das es sich um eine Klasse von bestimmten Umweltereignissen handelt, Handlungsschemata, Wahrnehmungsschemata, Motivationale Schemata. Ist ein Schema aktiviert werden schemakonsistente Informationen eher wahrgenommen als schemainkonsistente.
Piaget (Piaget, 1967) beschreibt Schema wie folgt:
- Schema: Art und Weise, Umweltgegebenheiten zu handhaben.
- Schema wird hier als typische Weise des Menschen verstanden, bestimmte Klassen von Umweltgegebenheiten zu handhaben. Ein solches Schema existiert als kognitives Schema, das sich in gewissen Handlungsschema ausdrückt – z. B. das Schema des Werfens, Klopfens, Multiplizierens u.ä.
- Schemata machen verschiedenartige Gegenständen zu gleichartigen (z.B. solche, die man werfen, mit denen man klopfen, die man multiplizieren kann usw.), erleichtern somit kognitiv den Umgang mit der Umwelt.
Piaget geht von 2 Prozessen zur Veränderung und Ausprägung von Schemata aus, beide dienen der Adaption an Umweltgegebenheiten:
- Assimilation: Anpassung der Erfahrungswerte an bestehende Schemata
- Akkomodation: Anpassung von Schemata, Auslöser von Akkomodation: Ungleichgewicht / kognitiver Konflikt
A.T. Beck (Beck, 1976) definiert Schemata wir folgt:
- Jede Situation besteht aus einer Fülle von Reizen. Das Individuum achtet selektiv auf bestimmte Reize, kombiniert sie zu einem Muster und bildet ein Konzept der Situation
- Es besteht eine Neigung auf ähnliche Ereignistypen konsistent zu reagieren
- Relativ stabile kognitive Muster sind der Grund für die Gleichförmigkeit, mit der bestimmte Klassen von Situationen interpretiert werden.
- Bestimmte Gegebenheiten aktivieren ein für diese Umstände entsprechendes Schema
- Aktivierte Schemata bestimmen direkt wie eine Person reagiert
- Es gibt vorherrschen ideosynkratische Schemata die zu Störungen der Realität und in der Folge zu systematischen Fehlern im Denken des Depressiven führen à negative Interpretationen können nicht als „irrig“ erkannt werden
In der Verhaltenstherapie wurden zunehmend, nach der kognitiven Wende, auf die emotionalen/motivationalen Aspekte menschlichen Verhaltes eingegangen. Das hat zu einem weiteren Schemabegriff geführt der vor allem emotionalen Komponenten heraushebt. Schemata werden als Wahrnehmungs-, Erlebensmuster die direkt mit den psychischen Grundbedürfnissen verbunden sind gesehen. Also als Blaupausen, Pläne, Programme die automatisch aktiviert werden, wenn Bedürfnisse aktiviert werden. Sie beinhalten alle Erfahrungen und Anpassungsleistungen an die Art und Möglichkeiten diese Bedürfnisse zu erfüllen. Sind damit aber frustrierende Erfahrungen verbunden, können diese Schemata dazu führen im Hier und Jetzt fehlangepasst, bzw. maladaptiv sind.
Ausgehend z.B. vom Grundbedürfnis Bindung wird ein Gefühl von Liebe, Zuneigung, Freude ausgelöst. Lernt das Kind nun dieses Gefühl von seinen Eltern durch körperliche Nähe, Zuwendung und ähnlichem beantwortet wird, wird auch in Zukunft dieses Gefühl mit einer angenehmen Erwartung einhergehen. Wird dieses Bedürfnis aber regelmäßig oder unregelmäßig frustriert wird neben dem Gefühl der Zuneigung auch ein Gefühl der Angst (bei Gewalterfahrungen) oder Einsamkeit (bei Vernachlässigung) mitgelernt und dann „gebahnt“ werden, also in das Schema „geschrieben“, aufgenommen.
Schemata können auch als neuronale Erregungsmuster gesehen werden die aktuell für einen bestimmten Situationstyp ausgelöst werden, beinhalten aber eben auch Erfahrungen, bzw. sind diese Teil davon.
Schuch (Schuch, 2000) beschreibt Schemata wie folgt:
In der kognitiven Therapie werden in Anlehnung an Piaget kognitive Schemata als relativ stabile, bewußte oder unbewußte Grundannahmen definiert, die Informationsverarbeitung und Verhalten steuern. Sie sind ziel- und handlungsorientiert, von Emotionen begleitet, und führen zu charakteristischen Kognitionen. Sie entstehen vielfach auf frühen Altersstufen durch Interaktionen des Kindes mit relevanten Bezugspersonen. Schemata liefern einen wichtigen Beitrag zur Entstehung psychopathologischer Auffälligkeiten. So führen dysfunktionale Schemata zu falschen Grundannahmen bezüglich relevanter Selbst- und Lebensbereiche und damit zu inadäquaten Verarbeitungs- und Verhaltensmustern. Schemata können aber auch miteinander in Konflikt geraten, wenn zum selben Zeitpunkt widersprüchliche aktiviert werden.
Im Folgenden wird auf die wichtigsten Vertreter schematherapeutischer Ansätzen der Verhaltenstherapie eingegangen:
III.3.2.2.3.1. Schematherapie – Young
Young beschreibt den Begriff Schema als:
- ein weitgestecktes, umfassendes Thema oder Muster,
- dass aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen besteht,
- die sich auf den Betreffenden selbst und seine Kontakte zu anderen Menschen beziehen,
- ein Muster, das in der Kindheit oder Adoleszenz entstanden ist,
- im Laufe des weiteren Lebens stärker ausgeprägt wurde und
- stark dysfunktional ist.
Dieser Definition gemäß ist das Verhalten eines Menschen nicht Bestandteil des Schemas selbst, sondern Young zufolge entwickeln sich dysfunktional Verhaltensweisen in Reaktion auf ein Schema. Folglich werden Verhaltensweisen von Schemata getrieben (driven), sind aber kein Bestandteil von ihnen
Abbildung 10: Übersicht Schemata nach Young
In Abbildung 10: Übersicht Schemata nach Young sind die Schemata von Young angeführt. Diese eignen sich besonders um Patienten ihre Beziehungsmuster und Beziehungsmodelle zu erörtern. Auch kompensatorische Strategien im Umgang mit belasteten Grundannahmen sind einfach zu vermitteln. Viele Patienten finden sich hier leicht wieder. Vor allem bei unklaren Motiven kommt man hier schnell zu ersten Hypothesen. Eine ausführliche Darstellung der Schematherapie ist in Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.
III. 3.2.2.3.2. Emotionsfokussierte Therapie Greenberg/Lammers
Ein weiteres, einfach zu vermittelndes Modell liefert Lammers der sich an der Emotionsfokussierte Therapie nach Greenberg orientiert. In Abbildung 11: Emotionale Schemata nach Greendberg/Lammers (Lammers, 2011) ist das Modell zu sehen. Dieses Modell ist ein gutes Erklärungsmodell, wenn wenige Gefühle in Situationen fehlangepasst sind, zum Beispiel Angst statt Zuneigung; Ärger statt Verletzlichkeit.
Abbildung 11: Emotionale Schemata nach Greendberg/Lammers (Lammers, 2011)
Es kann als Alternative für Modi nach Young verwendet werden, vor allem wenn wenige Modi betroffen sind und in Fällen von Patienten die eine „virtuelle“ Fragmentierung ihrer Persönlichkeit eher wenig abgewinnen können.
III. 3.2.2.3.3. Neuropsychotherapie – Grawe
Im Modell von Grawe wird vor allem auf motivationale Schemata eingängigen. Diese sind die Mittel die im Laufe des Lebens entwickelt werden um Grundbedürfnisse zu befriedigen. Er unterscheidet zwischen Annäherungszielen und Vermeidungszielen/schemata Vermeidungsschemata sollen vor allem vor Verletzungen schützen, Annäherungsschemata den Weg zur Befriedigung von Bedürfnissen auszeigen. Ebenfalls werden die neurophysiologischen Verbindungen zu neuronalen Erregungsmuster betont. Das also verschiedene Areale im Gehirn die gemeinsam feuern, auch zusammenhängen und verschieden Anteile beinhalten, Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, Erwartungen, Kontext, etc.
Abbildung 12: Schemata Grawe (Graw, 2004)
Dieses Modell ist besonders hilfreich, wenn Pläne und Ziele der Patienten konflikthaft sind. Zum Beispiel der Wunsch nach Autonomie (wäre im Modell nach Grawe eine Mischung aus Selbstwerterhöhung, Lustgewinn und Orientierung?) der durch das Bindungsbedürfnis, bzw. Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle ausgewogen wird. Hier als Annäherungsschema Bindung und Autonomie, aber auch Vermeidungsschema da durch Autonomie auch die Gefahr des Scheiterns besteht, bzw. mit Bezugspersonen interpersonelle Probleme zu bekommen.
Ebenso sind die Informationen des Modelles eine gute und wesentliche Grundlage für die komplementäre bzw. motivorientierte Beziehungsgestaltung.
III.3.2.3. Zusammenfassung
Es gibt mehrere Modelle einer vertikalen Verhaltensanalyse. Je nach theoretischem Hintergrund gibt es unterschiedliche Bezeichnungen und Schwerpunkte. Allen gemein ist die Annahme, dass wir Menschen von unseren Bedürfnissen und Motiven geleitet, bzw. gesteuert werden. Die Verwirklichung der Bedürfnisse wird, durch auf Erfahrungen ruhenden, Blaupausen, Programmen bzw. Plänen bestimmt. Wobei umso Bedürfnisnäher diese Schemata sind der implizierte Anteil größer und weniger bewusst sind. Pläne und Regeln sind mehr ausdifferenzierte und kognitiv zugänglichere Ausprägungen dieser Bedürfnisse. All diese Modelle basieren auf Grundlagen der kognitiven Psychologie und Arbeiten von Piaget und Bartlett. Der theoretische Fokus von Schemata nach Young und Greenberg sind vor allem die automatisierten emotionalen Anteile die menschliches Verhalten bedingen. Auch Beck spricht von zentralen Selbst- und Fremdschemata.
Grawe und auch Casper gehen in ihren Modellen auch von Grundbedürfnissen und hierarchischen Plänen zur Befriedigung derselben aus.
Für eine Übersicht, bzw. Zusammenfassung der verschiedenen Modelle innerhalb der Verhaltenstherapie sei auf Abbildung 13: Überblick Hierarchische Modelle motivationaler Aspekte des Verhaltens hingewiesen.
Abbildung 13: Überblick Hierarchische Modelle motivationaler Aspekte des Verhaltens
In Abbildung 14: Integratives Modell der vertikale Verhaltensanalyse ist eine Zusammenfassung der verschiedenen Modelle zu sehen. Die Hierarchie ist dabei als Ordnungshilfe zu verstehen, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. An oberster Stufe sind die Grundbedürfnisse, hier nach Grawe, bzw. Eppstein (2000). Allerdings ist das Bedürfnis nach Autonomie nicht explizit angeführt ist aber ebenfalls ein zentrales Bedürfnis.
Abbildung 14: Integratives Modell der vertikale Verhaltensanalyse
Vor allem das Bindungsbedürfnis ist bei vielen Patienten frustriert worden und spielt daher eine zentrale Rolle. Davon abgeleitet eigenen sich besonders die ersten 5 Schemata nach Young (1996)
Emotionale Entbehrung
Verlassenheit
Unzulänglichkeit/Scham
Misstrauen/Missbrauch
Soziale Isolierung
um Beziehungskonflikte, frustrierende Beziehungen und andere sich wiederholende maladaptive Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster zu beschreiben. Grundannahmen sind je nach Patient oft eine gleichwertige Alternative. Synonym kann auch der Begriff Lebensregeln oder Überlebensregeln Sinn machen. Die Überschneidung zu Regeln und Pläne ist aber fließend
Pläne und Regeln werden auch Synonym verwendet. Allerdings sind Pläne eher im Sinne eines Imperatives zu verstehen „Sei beliebt“, „Vermeide verletzt zu werden“ und Regeln eher eine Handlungsanweisung/anleitung. „Um nicht verletzt zu werden, musst du eigene Bedürfnisse hintanhalten“
Ob nun in Folge eines Stimulus zuerst Gefühle oder Gedanken da sind, oder Gleichzeitig, ist nicht vordergründig entscheidend. Wichtig ist das eigene Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster einen Einfluss auf Gefühle haben, ebenso automatische Gedanken. Allerdings können auch Gefühle die nicht explizit erklärbar sind ebenfalls Gedanken auslösen („was passiert hier“), z.B.: Panikstörung
Abbildung 15: Horizontale und vertikale Verhaltensanalyse
Das entscheidende ist jeweils ein Modell (Abbildung 15: Horizontale und vertikale Verhaltensanalyse) auszuwählen welches für den Patienten passt. Das Vorhandensein mehrere Modi nach Young kann für Patienten mit einer emotional instabilen Persönlichkeit (vor allem vom Borderline Typ) entlastend wirken, aber für jemand mit hohem Funktionsniveau eher befremdlich sein. Ebenso sind Begrifflichkeiten wie Schemata, ob nach Young, Grawe oder Greenberg oft zu abstrakt um Patienten ein Verständnis für ihre Probleme zu vermitteln. Darum immer das Modell mit der besten Passung und so einfach wie möglich und so komplex wie nötig.
Literatur:
Bartlett FC (1932). Remembering. Cambridge: Cambridge University Press.
Beck AT (1976). Cognitive therapy and the emotional disorders. New York: International Universities Press.
Beck, J.S. (2013). Praxis der Kognitiven Therapie. Weinheim: Beltz.
Caspar F (1996). Beziehungen und Probleme verstehen. Bern: Huber.
Caspar, F. (2007). Beziehungen und Probleme verstehen – Eine Einführung in die psychotherapeutische Plananalyse. Bern: Huber.
Epstein, S. (1990). Cognitive-experiental self-theory. In L.A. Pervin (Hrsg.), Handbook of personality: Theory and research (S. 165-192). New York: Guilford.
Grawe K, Caspar F (1984) Die Plananalyse als Konzept und Instrument für die Psychotherapieforschung. In: Baumann U (Hrsg.). Psychotherapieforschung. Makro- und Mikroperspektiven. Göttingen: Hogrefe.
Grawe, K. (2000). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe
Greenberg L (2011). Emotionsfokussierte Therapie. München: Ernst Reinhard Verlag.
Kanfer FH, Reinecker H, Schmelzer D (1996). Selbstmanagement-Therapie. Berlin: Springer.
Lammers CH (2011). Emotionsbezogene Psychotherapie: Grundlagen, Strategien und Techniken. Stuttgart: Schattauer
Parfy E, Schuch B, Lenz G (2016). Verhaltenstherapie: Moderne Ansätze für Theorie und Praxis, 2.Auflage. Wien: Facultas/UTB.
Piaget J (1936). The origin of intelligence in children. New York: International Universities Press. (Dt.: Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. Stuttgart: Klett-Cotta, 1975.)
Piaget J (1967). Biologie et connaissance. Edition Gallimard. (Dt.: Biologie und Erkenntnis. Frankfurt am Main: Fischer, 1992.)
Roediger, E. (2011). Praxis der Schematherapie: Lehrbuch zu Grundlagen, Indikationen, Kommunikation, Vorgehen. Stuttgart: Schattauer.
Schuch B. (2000) Schemata, kognitive. In: Stumm G., Pritz A. (eds) Wörterbuch der Psychotherapie. Springer, Vienna
Young, J.E., Klosko, J.S., Weishaar, M.E. (2008). Schematherapie. Paderborn: Junfermann.
[1] Das (K) bezieht sich auf die Kontingenz, also das Auftreten und sie Wahrscheinlichkeit von Verstärkern. Wird ein verhalten also intermittierend/unregelmäßig oder ständig verstärkt. R steht für Response, also Antwortverhalten und C für Consequenz aus dem englischen.